Der Beginn: 1. Juni 2024

Es regnet und regnet und regnet. Am Abend davor bin ich noch auf einer Mitgliederversammlung eines befreundeten Vereins von Aktion PiT – Togohilfe in München. Es werden tatsächlich noch Witze darüber gemacht, dass so viele Warnmeldungen wegen Hochwasser aufs Handy kommen. Warum derjenige der die Witze macht, selber mitten in München im dritten Stock wohnt und deshalb selbst von einem Jahrtausendhochwasser der Isar nicht betroffen wäre, voller stolz erzählt dass er eine Elementarversicherung abgeschlossen hat, erschließt sich mir nicht ganz.

Ich entgegne, dass ich sehr froh über die vielen Warnmeldungen bin. Tatsächlich mache ich mir das erste mal, seitdem ich nach Stepperg gezogen bin, etwas Sorgen ob des vielen Regens, der sich seit Tagen – gefühlt eimerweise – über uns ergießt. Ich trinke eine Halbe, danach nur noch Alkoholfreies, weil ich unbedingt noch in der Nacht nach Hause fahren möchte.

Auch am nächsten Morgen, Samstag 1. Juni 2024, regnet und regnet und regnet es. Kurz schaue ich zur Ussel, die schon über die Ufer getreten ist und kaum noch unter der Brücke durch kommt. Gegen Mittag kommt die Feuerwehr von Stepperg vorbei (die in den nächsten Tagen täglich mehrerer Male bei allen Betroffenen vorbei schaut und sich erkundigt, wie es einem geht und dadurch nicht nur eine willkommene Abwechslung sondern auch ein Halt im nassen Alltag wird. Vielen, vielen Dank dafür!) um mir zu erklären, dass das Wasser steigen wird und auch bis zu mir ans Haus kommen wird. Eventuelle sogar höher. Ich solle alles was wichtig ist in den ersten Stock schaffen.

Meiner Bitte um Sandsäcke für meine Eingangstür wird umgehend entsprochen. Keine halbe Stunde später habe ich ca. 25 Sandsäcke vor der Tür stehen. Streß habe ich keinen, da das Wasser nur sehr langsam steigt. Die Anspannung ist trotzdem gewaltig und die Arbeit beginnt.

An Schlaf oder Ausruhen ist heute Nacht und in den nächsten Tagen und Nächten nicht zu denken. Kaum sind die Augen zu, wacht man aus einem Halbschlaf auf, ist hellwach, schaut nach unten ins Erdgeschoss (ist schon Wasser drin), leuchtet mit der Taschenlampe nach draußen um zu sehen wie hoch das Wasser schon ist, legt sich wieder hin um in einen kurzen unruhigen Halbschlaf zu fallen und das selbe Spielchen beginnt von vorne.

Die erste Welle: 2. Juni 2024

An diesem Morgen wache ich auf und bin erst mal noch etwas beruhigt. Ich kann das Wasser zwar schon vom Wohnzimmerfenster aus sehen aber es ist noch nicht im Grundstück und es regnet auch nicht mehr ganz so viel. Immer wieder mal, aber nicht so dauerhaft wie die letzten Tage.

Trotzdem kann man den ganzen Tag dem Wasser beim steigen zu sehen. Zentimeter für Zentimeter nähert es sich meinem Grundstück. Die Boote der Nachbarn können gegen Nachmittag an meinem Zaun befestigt werden. Die Nachbarn, die etwas höher Wohnen und sich weniger Gedanken um das Hochwasser machen müssen, versuchen mich abzulenken, versorgen mich mit Nervennahrung (Bier) und beruhigen mich so gut wie möglich („wir könnens auch nicht sagen, aber es wird schon nicht so schlimm werden.“)

Am Abend komme ich ohne Gummistiefel nicht mehr aus dem Haus. Da ich meine Haustür mit Sandsäcken verbarrikadiert habe, muss mein Wohnzimmerfenster zum aus- und einsteigen herhalten. Als es dunkel wird reicht das Wasser bis zum Sockel meines Häuschen. Noch ist innen alles trocken. Das Gefühl ist beschissen, die Anspannung 100% und an Schlaf überhaupt nicht mehr zu denken.

Leichte Entspannung: 3. Juni 2024

Das Wasser ist während der Nacht nur noch wenig gestiegen. Innen ist alles trocken. Tagsüber bleibt das Wasser in der selben Höhe, ganz leicht sinkt es sogar, aber nur minimal. Ich mache, um mich etwas abzulenken, einen kleinen Ausflug auf den Antoniberg um mir die überfüllte Donau anzusehen. Normalerweise ein ruhig und entspannt dahin waberndes Gewässer, erinnert der Fluß jetzt eher einem reißenden Gebirgsbach in groß.

Am späten Nachmittag macht die Meldung, dass eine weitere Welle aus Donauwörth kommen soll, die Hoffnung zunichte, dass wir das Hochwasser vielleicht schon überstanden hätten. Kurz bevor es dunkel wird, steigt das Wasser wieder. Die dritte Nacht ohne Schlaf beginnt.

Die zweite Welle: 4. Juni 2024

Um 3.12 Uhr bemerke ich die ersten Pfützen in der Wohnung und kann ab diesem Moment dem Wasser in der Wohnung zu sehen, wie es steigt. Weiterhin in einem sehr gemächlichen Tempo, ganz entspannt möchte man meinen, nimmt es meine Wohnung in Besitz.

Bis zum späten Nachmittag steigt das Wasser an, so dass es ca. 20 cm hoch im kompletten Erdgeschoss steht. Noch ca. 3 cm mehr und mein ganzes Haus währe komplett umspült gewesen (die Terrasse und der hintere Gartenteil sind etwas erhöht).

Das Auspumpen beginnt gegen Mittag durch die von meinem Bruder mitgebrachten Pumpen all seiner Nachbarn und Bekannten der Nachbarn. Was eine Hilfe, der Dank geht und ging raus. Das Problem ist halt, solange das Wasser aussen so hoch ist, läuft das alles wieder voll wenn man gepumpt hat – ein echt feuchter Teufelskreis.

Erst spät in der Nacht bringt das pumpen endlich wirklich was, da die Wassermaßen ein Einsehen haben und abziehen. Um vier Uhr schlafe ich ein und schlafe 4 Stunden durch, ein Traum.

Ende des Schreckens: 5. – 6. Juni 2024

Der Wasserpegel sinkt genauso langsam wie er gestiegen ist. Erst am 6. Juni kann ich wieder ohne Gummistiefel ums Haus marschieren. Das trocknen und putzen im Haus sowie das Aufräumen beginnt.